Restnutzungsdauergutachten, Abschreibung & Steuervorteile
- Martin Reiss

- vor 1 Tag
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Warum die richtige Nutzungsdauer über Steuervorteile entscheidet
Das deutsche Steuerrecht sieht für Immobilien eine lineare Abschreibung über eine gesetzliche Nutzungsdauer vor. Diese beträgt bei Wohngebäuden grundsätzlich 50 Jahre. Doch immer häufiger stellt sich bei Bestandsimmobilien die Frage, ob diese pauschale Typisierung realistisch ist. Gerade ältere Gebäude, Objekte mit Modernisierungsstau oder Immobilien mit deutlicher technischer Überalterung entsprechen nicht der idealtypischen Annahme des Gesetzgebers. Für Eigentümerinnen, Eigentümer und Unternehmen bedeutet dies: Sie schöpfen ihr steuerliches Abschreibungspotenzial möglicherweise nicht aus.
Hier setzt das Restnutzungsdauergutachten an – ein anerkannter Weg, um gegenüber dem Finanzamt nachzuweisen, dass ein Gebäude tatsächlich eine kürzere Restnutzungsdauer hat als die gesetzlich typisierte. Das Ergebnis: höhere Abschreibungen, niedrigere Steuerlast, bessere Wirtschaftlichkeit einer Immobilie.
1. Wer darf Immobilien steuerlich abschreiben?
Die Frage, wer überhaupt abschreiben darf, ist grundlegender als viele denken. Denn nicht jede Eigentümerin und nicht jeder Eigentümer hat automatisch das Recht, eine Immobilie steuerlich geltend zu machen. Abschreibungen sind immer an die Einkunftserzielungsabsicht gebunden.
1.1 Private Vermietung: AfA nach § 21 EStG
Private Eigentümer dürfen Gebäude abschreiben, wenn sie diese zur Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nutzen. Dazu gehören:
Mietwohnungen
Mehrfamilienhäuser
Einfamilienhäuser im Bestand
Eigentumswohnungen, anteilig mit Gebäudewert
vermietete Gewerbeeinheiten im Privatvermögen
Nicht abschreibbar sind:
selbstgenutzte Immobilien
Ferienwohnungen ohne Gewinnerzielungsabsicht (Liebhaberei)
Grundstücke (Grund und Boden ist nie abschreibbar)
Die Abschreibung reduziert unmittelbar die steuerpflichtigen Einkünfte und wirkt damit wie ein dauerhaft wiederkehrender Steuervorteil.
1.2 Unternehmen: AfA als Betriebsausgabe
Für Unternehmen – egal ob Einzelunternehmen, Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft – sind Gebäude im Betriebsvermögen ganz regulär über die Nutzungsdauer abzuschreiben.
Die AfA wirkt dabei als:
Aufwand
steuermindernde Betriebsausgabe
Bewertungsinstrument im Jahresabschluss
Unternehmen profitieren besonders von einer verkürzten Restnutzungsdauer, weil sie häufig:
größere Gebäudewerte haben,
Modernisierungskosten steuerlich planen müssen,
Renditebetrachtungen vornehmen.
1.3 Gemischt genutzte Gebäude
Wird eine Immobilie sowohl privat als auch betrieblich oder vermietend genutzt, gilt eine anteilige Abschreibung. Der abzugsfähige Anteil richtet sich nach dem Verhältnis der Nutzflächen.
1.4 Erbschaften und Schenkungen
Bei unentgeltlichem Erwerb gilt das Prinzip der „Fußstapfentheorie“:
Die bisherige Restnutzungsdauer wird übernommen.
Die historischen Anschaffungskosten des Erblassers gelten weiterhin.
Ein Restnutzungsdauergutachten kann dennoch sinnvoll sein, wenn der Zustand des Gebäudes eindeutig schlechter ist als die fortgeführte AfA vermuten lässt.
2. Gesetzliche Nutzungsdauer vs. tatsächliche Restnutzungsdauer
2.1 Gesetzliche Typisierung nach § 7 EStG
Der Gesetzgeber legt für Immobilienpauschalwerte fest:
Wohngebäude: 50 Jahre (AfA 2 %)
Gewerbliche Gebäude: oft 33,33 Jahre (AfA 3 %)
Sonderfälle: 40, 50 oder 25 Jahre je nach Bauart und Nutzungsart
Diese Werte ignorieren die Realität vieler Gebäude, deren Restnutzungsdauer durch Alter, Sanierungen oder Mängel erheblich beeinflusst wird.
2.2 Warum die gesetzliche Pauschale oft unzutreffend ist
Ein 60 Jahre alter Altbau mit veralteter Elektrik, ungedämmten Außenwänden und störanfälliger Haustechnik hat faktisch nicht dieselbe wirtschaftliche Lebensdauer wie ein kernsanierter Neubau.
Ein Gebäude nutzt sich ab durch:
technische Alterung der Bauteile
strukturelle Mängel
energetische Defizite
veraltete Haustechnik
hohe Intensität der Nutzung
Die wirtschaftliche Lebensdauer ist daher individuell und häufig deutlich niedriger.
Genau das kann ein Restnutzungsdauergutachten belegen.
3. Was ist ein Restnutzungsdauergutachten und wie funktioniert es?
Ein Restnutzungsdauergutachten ist ein immobilienwirtschaftliches und bautechnisches Gutachten, das die tatsächlich verbleibende wirtschaftliche Nutzungsdauer eines Gebäudes feststellt.
3.1 Wer darf das Gutachten erstellen?
Das Finanzamt erkennt Gutachten an von:
öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen
qualifizierten Bauingenieuren
Architekten mit Spezialisierung auf Gebäudebewertung
Sachverständigenorganisationen
Entscheidend ist die fachliche Nachvollziehbarkeit.
3.2 Wie läuft die Bewertung ab?
Der Gutachter analysiert systematisch:
Baujahr & Bauweise
Zustand der tragenden Elemente (Dachstuhl, Wände, Decken)
technische Gebäudeausstattung (Heizung, Elektrik, Sanitär)
energetischer Zustand
Modernisierungen & Unterlassungen
Substanzschäden
Nutzungsintensität
Aus diesen Faktoren wird die wirtschaftliche Restnutzungsdauer abgeleitet, oft:
15–35 Jahre bei Altbauten
20–40 Jahre bei unsanierten Mehrfamilienhäusern
10–25 Jahre bei stark veralteten Gewerbeimmobilien
4. Vorteile eines Restnutzungsdauergutachtens
4.1 Erhöhung der jährlichen Abschreibung
Ein verkürzter Zeitraum steigert die AfA dramatisch.
Beispiel Gebäudewert: 300.000 €
Gesetzlich (50 Jahre) → 6.000 €/Jahr
Gutachten: 25 Jahre → 12.000 €/Jahr
Gutachten: 20 Jahre → 15.000 €/Jahr
Das sind über 10.000 € steuerliche Entlastung über die Jahre.
4.2 Bessere Abbildung des tatsächlichen Gebäudezustands
Die Abschreibung entspricht der Realität, nicht einer theoretischen Standardannahme.
4.3 Besonders lohnend bei sanierungsbedürftigen Immobilien
Für:
Altbauten
unsanierte Mehrfamilienhäuser
energetisch überholte Bestände
gewerblich stark genutzte Immobilien
ist die Restnutzungsdauer regelmäßig erheblich kürzer.
4.4 Bessere Investitionsplanung
Ein Gutachten verbessert:
Renditeberechnung
Cashflow-Planung
Steuerstrategie
5. Nachteile und Risiken eines Restnutzungsdauergutachtens
5.1 Keine Garantie der Anerkennung
Das Finanzamt prüft kritisch:
Ist die Restnutzungsdauer plausibel?
Wurden Modernisierungen korrekt berücksichtigt?
Ist der Gutachter qualifiziert?
Ein mangelhaftes Gutachten wird abgelehnt.
5.2 Kosten des Gutachtens
Typischerweise:
800–1.500 € für einfache Wohngebäude
1.500–3.000 € für komplexere Objekte
5.3 Risiko in Betriebsprüfungen
Auch später kann das Finanzamt ein Gutachten infrage stellen.
5.4 höheres Risiko, je radikaler die Verkürzung
Eine Restnutzungsdauer von z. B. 12 Jahren wird deutlich stärker geprüft als eine von 28 Jahren.
6. Wann lohnt sich ein Restnutzungsdauergutachten?
6.1 Gebäudetypen, bei denen es fast immer Sinn ergibt
Altbauten > 40 Jahre
MFH ohne systematische Modernisierung
Gewerbeimmobilien mit hoher Abnutzung
energetisch schlechte Gebäude
Objekte mit Feuchtigkeitsproblemen oder Leitungsalterung
6.2 Rechenmodell zur Wirtschaftlichkeit
Ein Gutachten lohnt sich immer dann, wenn die steuerliche Mehrabschreibung > Gutachterkosten ist.
Beispiel AfA-Erhöhung: 6.000 €/JahrSteuersatz: 42 %Steuerersparnis: 2.520 €/Jahr
Gutachterkosten amortisieren sich innerhalb weniger Monate.
7. Wirtschaftliche und steuerliche Praxisempfehlungen
7.1 Vorprüfung durch die Steuerkanzlei
Vor Erstellung sollte geprüft werden:
realistische Absenkung möglich?
geplante Sanierungen beeinflussen RND?
lohnt es sich im individuellen Steuersatz?
Risikoabwägung je nach Immobilienart
7.2 Gutachter richtig auswählen
Wichtig:
öffentlich bestellt
Immobilienbewertungserfahrung
Erfahrung mit Restnutzungsdauern
strukturierte Gutachten mit Dokumentation
7.3 Einreichung beim Finanzamt
Beste Chancen bestehen, wenn:
Gutachten sauber formuliert ist
Fotos und Befunde vorhanden sind
Vergleichswerte anderer Gebäude genutzt werden
der steuerliche Kontext erklärt wird
8. Fazit: Ein scharfes steuerliches Werkzeug – bei richtiger Anwendung
Ein Restnutzungsdauergutachten ist eines der effektivsten Instrumente zur steuerlichen Optimierung von Immobilien. Es ermöglicht:
höhere Abschreibungen
realitätsgerechte Bewertung
bessere Rendite
langfristige Steuerentlastung
Mit professioneller Vorbereitung und hochwertigem Gutachten wird die Anerkennung wahrscheinlicher und der steuerliche Effekt maximiert.





